„Dominikus hatte die Gewohnheit, oft die Nacht in der Kirche zu verbringen, er betete viel, und beim Beten vergoß er Tränen und seufzte er. Ich bin ihm oft in die Kirche gefolgt und habe gesehen und gehört, wie er betete und weinte. Oft sah ich ihn auf den Fußspitzen stehen, die Hände im Gebet erhoben.“ (S.105)

Am Gebet des Dominikus fasziniert mich zweierlei:

Erstens hatte er die Fähigkeit weinen zu können. Als gebildeter, erwachsener, gestandener Mann zeigte sich dennoch verletzlich und schwach, doch weder schämte er sich des Weinens vor seinen Mitbrüdern noch vor Gott. Er hatte trotz seiner Führungsaufgabe nicht verlernt berührbar zu bleiben und machte sich verletzlich wie Jesus Christus selbst, der sich in seiner Menschwerdung entschieden hat, „körperlich-leiblich zu werden und sich vom körperlich-leiblichen Leben berühren zu lassen“*. Seelsorge ist für ihn kein Job, Seelsorge ist für ihn wach und berührbar zu bleiben, nicht alles auf eine professionelle Ebene zu schieben, sondern Mensch zu bleiben und zu werden. Daher fordert mich sein Beispiel heraus zu fragen: Wie berührbar bin ich? Gelingt es mir noch mich berühren zu lassen, von den täglichen Schicksalen und Leiden der Mitmenschen, dem Schrei der kranken Schöpfung, einer scheinbar irrelevanten Kirche oder den anhaltenden Kriegen zwischen Menschen und Völkern? Die Versuchung liegt nahe als dies als komplexe Probleme, jenseits meines Verantwortungsbereiches abzustempeln. Das Beispiel von Dominikus lädt uns ein, die Sorge für die Mitmenschen und Probleme der Zeit nicht (nur) in abstrakte, gar theologisch-akademische Sphären zu verlagern, sondern sie im Herzen zu bewahren und vor Gott zu bringen.

Zweitens ist das Gebet für Dominikus nie etwas rein Geistliches, sondern voll und ganz leiblich. Im Gebet ist er mit allem was er ist vor Gott, mit Seele und Leib, mit Freuden und Schmerzen, mit der Sorge um die Seelen und seiner eigenen. Er betet mit den Füßen, mit den Händen, mit den Tränen, mit seinem ganzen Sein.

Dominikus – eine Ermutigung Gott so zu begegnen wie er uns begegnet – als Mensch mit Leib und Seele.

*Hans-Martin Rieger, Leiblichkeit in theologischer Perspektive, Stuttgart 2019, 161.