Kontemplation und Aktion: zur Spiritualität des hl. Dominikus

Dominikus hat (bis auf drei eher unwesentliche Briefe) keine Schriften hinterlassen. Seine Spiritualität ist dagegen in den Orden eingegangen, der auf vier „Säulen“ aufruht. Von diesen her kann nochmal ein Blick auf den Ordensgründer selbst geworfen werden:

  • Gebet: Dominikus ist ein Mann des Gebets: Sein apostolisches Wirken als Wanderprediger wird vorbereitet durch die Jahre des dem Gebet hingegebenen Lebens im Domkapitel von Osma, und in durchbeteten Nächten findet er die Kraft für sein Wirken am Tag. Im Gebet flüchtet er nicht vor sich selbst oder seinem Mitmenschen: Die überlieferten „Neun Gebetsweisen“ zeigen, wie Dominikus „mit Leib und Seele“ betet, und immer wieder bittet er inständig um die Gabe der wahren Liebe, „für das Heil der Menschen wirken und sorgen zu können“. Gott schenkt ihm ein Herz voller Mitgefühl, dass sich bis ins Innerste von den Sorgen und Lasten der anderen anrühren lässt und fähig ist, mit ihnen und um sie zu weinen. Da Dominikus im Gebet gelernt hat, auf Gottes Stimme zu hören, erkennt er sie auch in den entscheidenden Momentes seines Lebens und in den Aufgaben jeden Tages wieder. In seinen eigenen Entscheidungen und Handlungen versucht er, dem Willen Gottes entsprechend zu antworten. Auch seine Gemeinschaft empfängt ihre Kraft aus der gemeinsamen Feier der Eucharistie und dem Chorgebet, das feierlich, aber kurz sein soll. Denn es dient nicht nur der Selbstheiligung. Präzise bringt Thomas von Aquin die dominikanische Spiritualität auf die Formel: „Contemplari et contemplata aliis tradere“ – „Beten und das im Gebet Erfahrene weitergeben“, oder, das Motto des Dominikus selbst (in Anleihe von Stephan von Muret): „Mit Gott oder von Gott sprechen“: beten oder predigen.
  • Predigt: Es drängt Dominikus und seine Brüder, die Frohe Botschaft weiterzugeben und zu verbreiten. „Unser Orden [war] von Anfang an dafür bekannt […], besonders für die Predigt und das Seelenheil gegründet worden zu sein“, steht daher seit ältesten Zeiten in den Konstitutionen. Predigen beschränkt sich aber nicht auf die Homilie in der Eucharistiefeier: Auch in anderen Kontexten, und besonders in den Medien, stehende Verkündigung durch das gesprochene und geschriebene Wort, auch Werke der Nächstenliebe, auch Kunst, auch politischer Einsatz, auch das Gemeinschaftsleben kann Predigt sein, wo immer das Wort Gottes mit Leben erfüllt und erfahrbar wird.
  • Gemeinschaft: „Sacra Praedicatio“ nennt auch Dominikus das erste (Frauen-)Kloster des Predigtwerks in Prouilhe. Denn wie Predigerbrüder und -schwestern miteinander umgehen, ist der erste Prüfstein – und das erste (und beste?) Zeugnis für die Verkündigung. Dominikus und die ersten Brüder haben daher bewusst die Augustinusregel als Grundlage gewählt, die als „erstes Ziel“ des Gemeinschaftslebens das „Ein-Herz-und-eine-Seele-Sein“ (vgl. Apg 4,32) definiert. Der Ordensgründer vertraut seinen Brüdern und überträgt ihnen große Verantwortung: Unerfahrene Novizen entsendet er zur Predigt, einige neue Mitbrüder gründen oder leiten Konvente, jeder Bruder hat durch demokratische Wahlen Anteil an der Leitung des Ordens. Dominikus weigert sich, das Zuwiderhandeln gegen die Ordenssatzungen als Sünde zu bestimmen, und schafft zudem Möglichkeiten zur Dispens von bestimmten Verpflichtungen, durch die Mitbrüder von der Predigt, der Seelsorge oder dem darauf vorbereitenden Studium abgehalten werden.
  • Studium: Dominikus selbst trägt immer das Matthäusevangelium und die Paulusbriefe mit sich und fordert von seinen Brüdern, auch auf Reisen immer etwas zu lesen oder zu bedenken: Semper studere – stets studieren! Bevorzugt gründet Dominikus in Universitätsstädten Niederlassungen und bestimmt, dass jeder Konvent einen Lektor, der für die Aus- und Weiterbildung der Brüder zuständig ist, haben muss. Begabte Studenten sollen in Einzelzellen wohnen und auch nachts studieren dürfen. Dominikus erkennt die Notwendigkeit des redlichen, intellektuellen Austauschs mit anderen. Aus seinem Orden gehen zwei der größten Denker des Mittelalters hervor: Albertus Magnus und sein Schüler Thomas von Aquin. Die Suche nach der Wahrheit, Veritas, bestimmt bis heute das Leben der Brüder. Letztlich ist diese jedoch nicht eine Sache, sondern eine Person: Jesus Christus.

Quelle: Paul D. Hellmeier: Dominikus begegnen. In: Zeugen des Glaubens. Sankt Ulrich: Augsburg 2007.