Dominikus und die Frauen

Über den hl. Dominikus könnte man sehr viel erzählen. Meistens werden Heiligenlegenden als Erfolgsgeschichten erzählt: Siegesgeschichten. Mir scheint Wesentliches aber gerade in den verborgenen Jahre des Heiligen deutlich zu werden. Es gibt nicht nur die verborgenen Jahre Jesu (die 30 Jahre vor seinem öffentlichen Auftreten), sondern auch die verborgenen Jahre des Dominikus. 1206-15, nach dem Weggang und dann auch Tod seines Gefährten, des Bischofs Diego, ist Dominikus quasi allein unterwegs: Umherlaufend in Südfrankreich, im Gebiet der Katharer, im Versuch, diese von der Falschheit dieser esoterischen Lehre zu überzeugen und die Menschen wieder zu einem lebensspendenden Glauben zurückzuführen. Jeder und jedem Einzelnen nachgehend.

Wir wissen aus dieser Zeit nur ganz wenige, einzelne Begebenheiten. Es war keine Zeit der großen Erfolge; Dominikus hatte keine Gemeinschaft um sich; es war eher eine lange Wüstenzeit, wie ewig lange Exerzitien. Wie wenn er lange bei den Menschen dort und nachts bei Gott im Gebet in die Schule gegangen wäre – sich Schritt für Schritt geduldig seiner Berufung nähernd. Also eher eine Geduldsprobe als eine Erfolgsgeschichte.

Eine zweite Geschichte: Nach der Ordensgründung wird dem hl. Dominikus vom Papst die Kirche S. Sabina in Rom zugewiesen. Zusätzlich wird er beauftragt, eine Schwesterngemeinschaft zu reformieren, die in S. Sisto angesiedelt wurde. Auf dem Weg von S. Sabina nach S. Sisto gab es eine Inklusin, also eine Frau, die ganz abgeschottet eremitisch lebte. Dominikus, so wird berichtet, nahm sich stets Zeit, dieser Frau ein geistliches Wort zu geben – und manchmal auch Lebensmittel zuzustecken. Eines Tages bemerkte Dominikus, dass ihre Hand verdorrt war. Er bat sie, die Hand auszustrecken, betete über ihre Hand – und siehe: sie war geheilt.

Vom Rand in die Mitte

Dies ist mehr als eine Wundergeschichte – sie zeigt die Haltung des Heiligen. Das Engagement, der Dominikus vielen Reklusinnen in Rom zuteil werden ließ, ist in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert: Zum einen erachteten viele diese Frauen, die ein spirituelles Leben zu leben suchten, abschätzig als „g´spinnerte Weiber“. Wie insgesamt viele, auch Orden, damals die vielen spirituellen Frauenbewegungen, die ein semireligioses Leben, also ein spirituelles Leben mit Elementen aus dem Ordensleben, lebten, abwehrten und die Bewegung einzudämmen suchten. Sie wurden direkt an den Rand der Kirche gedrängt. Dominikus holt sie – wie im Evangelium Jesus die Kinder – vom Rand in die Mitte und nimmt sie in den Blick. Und er lässt sich die Sorge um die spirituellen Frauen auch etwas kosten: Als in Bologna die Diskussion ist, ob man den Brüderkonvent erweitern soll oder stattdessen Schwestern ein Zuhause bauen lassen, sagt Dominikus: Letzteres ist wichtiger!

An der Geschichte mit der Inklusin zeigt sich Verschiedenes:

Zum einen, das herzliche Verhältnis, das Dominikus zu Frauen und Schwestern hatte – und das hebt sich ab von dem, was in seinem Umfeld üblich war. Die Priester und Orden hielten Abstand von frommen Frauen und Schwestern, weil sie fürchteten, zu sehr von der Seelsorge und der Verwaltung der Güter in Beschlag genommen zu werden. Dominikus erkennt aber die Wichtigkeit ihres Dienstes in der Kirche. Das einzige, von Dominikus erhaltene Schriftstück – das an die Schwestern in Madrid zeigt: Er achtet ihre Eigenverwaltung und ihren Eigenstand in der Kirche. Er weiß um die Wichtigkeit des Charismas der Frauen für die Reform der Kirche und sein Nachfolger als Ordensmeister, Jordan von Sachsen, schreibt das rasche Wachstum des Ordens nicht zuletzt den ausdauernden Gebeten der Schwestern zu.

Das Verhältnis von Dominikus und den Schwestern ist unverkrampft und herzlich. Von seiner Reise nach Spanien bringt er jeder Schwester einen Holzlöffel als Souvenir mit (man muss bedenken, dass er das alles zu Fuß von Spanien nach Rom schleppen musste). Und er besucht die Schwestern fast täglich, oft spät abends, hält ihnen einen ermutigenden Impuls und berichtet von dem, was geschehen war. Eines Abends sagt er: Jetzt trinken wir noch einen! Und nicht nur die Brüder bekommen Wein – wie es eigentlich üblich war -, sondern Dominikus will, dass die Schwestern auch ordentlich trinken. Dies zeugt von der Zuneigung und der Wertschätzung im Umgang miteinander.

Der Schritt zurück

Das Zeugnis des hl. Dominikus zeigt uns aber Verschiedenes auch für Heute.

Zum einen sein Gehorsam gegen die Berufung jedes Menschen, auch besonders der Frauen: Er ist niemals „Herr der Gemeinschaft“ (vgl. 1 Petr 5,3), sondern Diener an der Berufung des Einzelnen. Und er stärkt – wie quasi symbolisch bei der Handheilung – buchstäblich die Rechte der Schwestern!

Zum zweiten die Wichtigkeit des Gebets für die Reform der Kirche – etwas, was leider bei unseren derzeitigen Prozessen nicht mehr wirklich im Blick ist. Dominikus´ Wertschätzung der Schwestern verbindet sich mit seiner Wertschätzung des Gebets. Mehr als seiner Verkündigungstätigkeit muss man den Ursprung des Ordens in den durchwachten und durchweinten Gebetsnächten des Dominikus suchen, in denen der Orden eigentlich geboren wurde – wo er jeden und jeder Einzelnen, denen er begegnet war, vor Gott bringt und darum ringt, dass sie ihre Seele nicht verlieren. Dabei hilft ihm der Blick des Gebets, sie in Gott richtig zu sehen.  Wie später die dominikanische Mystikerin Caterina von Siena formulieren wird: Im Herzen Gottes sehen wir das Bild des Nächsten – so wie ihn und sie Gott gemeint hat. In diesem Raum der Stille wurde Raum für das, was Gott durch Dominikus neu wirken wollte. Nicht mit dem Schwert, sondern mit der Waffe des Mitleids, des Gebets und der vernünftigen Lehre des Evangeliums.

Diese Gebetserfahrung ist auch der Ursprung der tiefen Ehrfurcht des Dominikus – das Dritte, was uns in diesen Geschichten entgegenkommt. Dominikus ist in Rom mit den großen und schwierigen Prozessen beschäftigt, die eine Ordensgründung so mit sich bringt. Dennoch verliert er über dem Großen nie den Blick auf den Einzelnen und seinen Weg. Im Blick des Dominikus, der vielen großen Trost gab, lag eine liebevolle Ehrfurcht vor jedem und jeder Einzelnen.

Dies ist es genau auch, was die „verborgenen Jahre“ des Dominikus auszeichnet. Es ist auch die Zeit der Kreuzzüge gegen die Katharer, die es dem Heiligen zusätzlich schwer machen, mit Ihnen ins Gespräch und in die Diskussion zu kommen. Dominikus wendet sich jedem Einzelnen zu; es geht nicht darum: „Hauptsache, der Landstrich ist wieder katholisch!“ Das erreicht auch der Kreuzzug – auf seine Weise und mit seinem Preis. Ihm geht es darum, dass die Menschen in Freiheit erkennen, dass das Evangelium ihnen wirklich einen Weg zur Wahrheit des Lebens und zum Frieden weist. Eine Häresie bedeutet immer auch eine innere Sackgasse. Und aus dieser will Dominikus sie herausführen – geduldig und in Achtung vor dem Einzelnen. Die Ehrfurcht aber ist eine Tugend des Evangeliums – Dominikus wäscht jeder und jedem die Füße.

Achtung und Ehrfurcht sind das Gegenteil von Gewalt und Übergriffigkeit. Ehrfurcht ist der Schritt zurück. Im Wort „Ehrfurcht“ ist das Wort „Furcht“. Die Furcht verbietet sich das Zudringliche, hält Abstand. Der Grund: Die Ehr-Furcht weiß um das Heilige. Und das Heilige ist das, was mir entzogen ist, worauf ich keinen Zugriff nehmen soll.

Das ist aber das Gegenteil von dem, wie wir im Alltag oft handeln. Wir nehmen gerne in Besitz, wir nehmen für uns in Anspruch und gebrauchen es für unseren Zweck; wir urteilen und greifen auf den Anderen zu, weil ich ihn nach meinen Vorstellungen, nach meinen Bildern beurteile. Bilder sind aber das Gegenteil von Liebe – das hat Meister Eckhart wunderbar formuliert. Für die Wüstenväter war dementsprechend das erste, was die jungen Mönche lernen mussten: Nicht-Urteilen. Denn wer urteilt, dem fehlt es an Selbsterkenntnis – und am Bewusstsein des Heiligen, das ich damit verletze. Ehrfurcht ist auch das Gegenteil von dem vielen Schrecklichen und Übergriffigen, das uns im Missbrauchsskandal entgegengekommen ist.

Die Ehrfurcht ist der Schritt zurück. Hören wir dazu einen Gedanken des wohl bald selig gesprochenen Theologen Romano Guardini: „Alle wirkliche Kultur beginnt damit, daß der Mensch zurücktritt. Nicht zudringt, nicht an sich reißt, sondern Abstand schafft, damit freier Raum entstehe, worin die Person mit ihrer Würde, das Werk mit seiner Schönheit, die Natur mit ihrer Symbolmacht deutlich werden können“. Der Schritt zurück schafft einen Raum, der Schönheit und Würde deutlich werden lassen – das Ursprüngliche, das Gott in jede und jeden gelegt hat. Die Ehrfurcht schafft Raum, in dem die Schönheit und Würde neu erfahrbar werden – Schönheit des Menschen und der Schöpfung. Schauen wir auf unseren ausbeutenden Umgang mit der Schöpfung oder auf unseren Umgang miteinander: ins heutige Fernsehprogramm, auf die Schulhöfe wie auch auf den Umgang in den sozialen Medien, so scheint es mir, dass wir gerade die Ehrfurcht wieder neu lernen müssen. In den sozialen Medien geht es in den Kommentarspalten vor allem darum, den anderen verächtlich zu machen und als dumm hinzustellen. Die Ehrfurcht schaut nicht auf die Dornen, sondern auf die Rose – und den göttlichen Funken in allem. Wer aber die Schönheit und Würde des Anderen sieht und würdigt, wird selbst groß – wie Maria im Magnifikat und wie Dominikus.