Predigt am Hochfest des hl. Dominikus, Freiburg im Breisgau 08.08.2021

Jes 52,7-10

 Das Wort „Krise“ gehört zu jenen, die in den medialen Berichten immer wieder präsent sind. Ständig hören und lesen wir von verschiedenen Krisen. Wenn Sie auf die vergangenen 15-20 Jahre zurückblicken, finden Sie sofort mehrere: Weltwirtschaftskrise, globale Sicherheitskrise, Umweltkrise, und zuletzt die Corona-Krise. Und natürlich dürfen wir die Kirchen- und Glaubenskrise nicht vergessen. Es ist nicht so, dass die eine von der anderen einfach abgelöst würde, sondern gerade in den letzten Jahren merken wir, wie verschiedene Sachen zusammenkommen, die unser Leben – als Einzelne, als Kirche und als Gesellschaft – negativ beeinflussen. Kann es uns einmal wieder besser gehen? Manche scheinen bereits alle diesbezüglichen Hoffnungen begraben zu haben, aber die meisten suchen wohl nach erkennbaren Zeichen der Hoffnung auf bessere Zeiten. Und wir sind vor allem dankbar für jeden Menschen, der uns hilft, die Hoffnung nicht zu verlieren.

Die Israeliten, die im 6. Jh. vor Christus im babylonischen Exil waren, fanden einen Hoffnungspropheten, der ihnen die Rettung und Rückkehr in ihre Heimat ankündigte. Auf die Krise des Exils beziehen sich die Worte der ersten Lesung aus dem Buch Jesaja (52,7): „Wie willkommen sind auf den Bergen die Schritte des Freudenboten, der Frieden ankündigt, der eine frohe Botschaft bringt und Rettung verheißt, der zu Zion sagt: Dein Gott ist König.“ Wenn wir heute, am Fest des hl. Dominikus, diese Worte hören, heißt das wohl, dass die Kirche auch in ihm einen Boten der Hoffnung sieht.

Jede historische Epoche hat ihre Herausforderungen. Das war auch zu Beginn des 13. Jahrhunderts nicht anders. Zu einer Krise in der damaligen Kirche und Gesellschaft trugen interessanterweise Menschen bei, die intensiv nach ihrem Seelenheil strebten; bei vielen führte ihre Radikalität in der Bemühung um ein reines, heiliges Leben bis zur Ablehnung der „verweltlichten“ Kirche. Die „Verweltlichung“ sahen sie nicht nur darin, dass viele Repräsentanten der Kirche ein Leben führten, das man nicht gerade als evangeliumskonform bezeichnen konnte. Bei bestimmten Gruppen ging es vielmehr um eine Opposition gegen die Kirche als Institution mit sichtbaren Strukturen, Sakramenten, weil sie das Sichtbare, das Leibliche grundsätzlich als ein Produkt des Bösen verstanden. Für die Kirche, die den Glauben an den einen Gott, den Schöpfer des Sichtbaren und des Unsichtbaren, und an Jesus Christus, das mensch-, also fleischgewordene Wort Gottes verkündet, war das natürlich ein großes Problem. Angesichts des Glaubens an die Heilsnotwendigkeit der Taufe, an das Geschenk der Eucharistie als lebenspendende Gabe auf dem Weg zum Heil konnte die Zurückweisung der Sakramente nicht anders als skandalös empfunden werden.

Als Dominikus, Domkanoniker von Osma in Spanien, 1203/1204 während einer diplomatischen Reise mit seinem Bischof Diego in Südfrankreich auf Menschen gestoßen ist, die derartigen Gruppen von „Reinen“, Katharern, angehörten, war er zutiefst betroffen. Er hat sehr schnell verstanden, dass die Lage ernst war und die Verantwortlichen in der Kirche ratlos waren. Im Jahre 1234, also dreißig Jahre nach den ersten Erfahrungen des Dominikus mit der „Kirche in der Krise“, hat Papst Gregor IX. in der Urkunde Fons Sapientiae, mit der er die Heiligsprechung des Bruder Dominikus feierlich verkündete, in der Anlehnung an das biblische Vokabular von der „elften Stunde“ gesprochen, von der Stunde „als der Tag sich dem Abend zuneigte und der Strahl der Gerechtigkeit wegen der Vermehrung der Ungerechtigkeit infolge der großen Abkühlung der Nächstenliebe schwächer wurde.“ Wir kennen den Ausdruck „die elfte Stunde“ aus dem 20. Kapitel des Matthäusevangeliums, aus dem Gleichnis über die Arbeiter im Weinberg; der Papst wendete ihn als Bild für den letzten Augenblick an, in dem etwas geschehen konnte, was ein Unglück abwenden würde. Die Lage war laut Papst Gregor IX. ernst, denn die zwölfte Stunde, die Stunde des göttlichen Gerichts rückte immer näher; es war höchste Zeit, sich zu Gott zu bekehren. Den heiligen Dominikus stellte der Papst, der ihn übrigens persönlich kannte und mit ihm befreundet war, als einen Boten Gottes dar, der durch seine Predigt der Welt das Licht des Evangeliums vom Heil gebracht hatte. Diesen Gedanken hat der spanische Dominikaner Petrus Ferrandus, der ein paar Jahre später die erste Legenda also Lebensbeschreibung des hl. Dominikus verfasste, übernommen und erweitert: Er hat Dominikus mit Johannes dem Täufer verglichen; Johannes war ein Morgenstern, der die erste Ankunft des Heilands verkündet hatte; Dominikus war als ein Abendstern dem göttlichen Gericht vorausgegangen.

Halten wir fest: Die „elfte Stunde“ bedeutet, dass die negative Entwicklung noch reversibel ist. Die Menschen können immer noch den richtigen Weg finden, die Kirche kann immer noch erneuert werden. Gott zieht sein Angebot des Heiles nicht zurück. Aber es braucht Menschen, die an die Möglichkeit eines Neuanfangs glauben und andere an die Barmherzigkeit Gottes erinnern; an die Barmherzigkeit, die Sünden vergibt und Heiligkeit schenkt. Ein solcher Mensch war Dominikus, der in schwierigen Zeiten, in den Zeiten der Krise, als Bote der Hoffnung auftrat. Als ein demütiger, armer Prediger hat er den gnädigen Gott verkündet, der den Menschen im demütigen, selbsterniedrigten Jesus begegnet. Er hat gehofft, in den menschlichen Herzen einen fruchtbaren Boden zu finden, in dem der kleine Same des Wortes Gottes wachsen und Früchte bringen kann. Die Grundlage seiner Hoffnung, dass die Menschen den Weg zum Leben in Fülle und die Kirche den Weg aus der Krise finden, lag nur im Glauben an Gott, der allein die Herzen kennt, und auch die Zeiten, in denen der Samen des Wortes zu keimen beginnt.

Vom hl. Dominikus wurden uns kaum Schriften überliefert, die uns als Zeugnis von seiner spirituellen Einstellung in Bezug auf die damalige Krise dienen könnten. Wir haben allerdings Zeugnisse von verschiedenen Personen, die während des Heiligsprechungsprozesses ausgesagt haben, vor allem von seinen Mitbrüdern, die ihn aus nächster Nähe erlebten. Zwei Haltungen des Dominikus, die von den Zeugen wiederholt genannt wurden, möchte ich hervorheben. Die erste war eine tiefe, aufrichtige Sorge um die Menschen und die Liebe zu allen. Frater Frugerius, der mit Dominikus eine gewisse Zeit in Bologna verbrachte, sagte von ihm: „Er war sehr bemüht um die Rettung der Seelen, nicht nur der Christen sondern auch von den Sarazenen und anderen Ungläubigen, und ermahnte die Brüder dazu.“ Etwas ähnliches sagte Frater Ventura, der von Dominikus in den Orden empfangen worden war: „Sein Eifer für die Seelen war so groß, dass er seine Nächstenliebe und sein Mitgefühl nicht nur auf die Gläubigen, sondern auch auf die Ungläubigen, die Heiden und die Verdammten in der Hölle ausdehnte. Er weinte viel um sie und war sehr eifrig, sowohl beim Predigen selbst als auch beim Aussenden anderer Prediger.“ Was mich wirklich berührt, ist die universale Liebe des hl. Dominikus; weder verschloss er sich in einem katholischen Ghetto noch schickte die Feinde der Kirche in die Hölle. Das war keine Selbstverständlichkeit. Dominikus’ Hoffnung an eine mögliche Wende in der elften Stunde war eine Hoffnung auch für die Menschen, die seinen Glauben, seine Werte nicht teilten. Wie ich gesagt habe: Seine Hoffnung lag im Glauben an Gott, der allein die Herzen kennt, und auch die Zeiten, in denen der Samen des Wortes zu keimen beginnt.

Die zweite Haltung des Dominikus, auf die ich hinweisen will, ist seine Bereitschaft, sich für die Menschen mit Taten einzusetzen, wenn er gemerkt hat, dass Worte nicht ausreichten. In der Lebensbeschreibung von Petrus Ferrandus lesen wir Folgendes: „[Dominikus] war bereit, seine eigene Seele für das Heil seines Nächsten hinzugeben. Denn er hatte einmal einen Mann, der durch die Täuschungen der Häretiker in die Irre geführt worden war, ermahnt, in den Schoß der Mutter Kirche zurückzukehren. Als er aber erfuhr, dass dieser sich aus materieller Not nicht von der Gesellschaft der Ungläubigen trennen konnte, weil er die Nahrung, die sie für ihn bereitstellten, nicht anderswo bekommen konnte, beschloss der Diener Gottes, sich selbst zu verkaufen und seinen Nächsten mit dem Geld freizukaufen, das er durch den Verkauf seiner selbst erhalten hatte, indem er das Vorbild des Erlösers aller nachahmte.“ An dieser Erzählung finde ich zwei Sachen sehr wichtig: Erstens versteht Dominikus, dass manche Fehlentscheidungen mildernde Umstände haben, zweitens versucht er, diesem Menschen in einer ganz konkreten Weise den Weg zum Glauben zu pflastern. Als Prediger der Hoffnung setzt Dominikus sich ein, damit die Hoffnung sich verwirklichen kann. Diese Erzählung bringt schließlich die beindruckende Ähnlichkeit des Dominikus mit Jesus zum Ausdruck.

Im Blick auf verschiedene kritische Situationen lesen wir die Zusicherung des Propheten Jesaja (52,10): „Alle Enden der Erde sehen das Heil unseres Gottes.“ Der hl. Dominikus lädt uns heute ein, uns für Gott und sein Heil zu öffnen. Dominikus verkündet Hoffnung, doch keinen Heilsautomatismus! Die „elfte Stunde“ kann eine Stunde der Wende werden, wenn wir Gott in unserem Leben wirken lassen. Die Wende heißt dabei nicht, dass alle Schwierigkeiten auf einmal beseitigt werden, sondern dass wir einen neuen Ausgangspunkt für den Weg zum Heil, zur Lebensfülle, finden. Hoffen kann anstrengend sein, denn vielleicht erkennen wir lange keine Zeichen der gewünschten Besserung. Letztendlich beruht die christliche Hoffnung jedoch nicht auf Zeichen, sondern auf Gott selbst, der uns in Jesus Christus seine unendliche Liebe geoffenbart hat. Außerdem glaube ich, dass Dominikus noch eine weitere Botschaft für uns hat; nicht nur für jene, die dem Orden bzw. der Dominikanischen Familie angehören, sondern für alle, die ihn sympathisch finden und schließlich für alle Christinnen und Christen: Wir verfehlen unser Leben sicher nicht, wenn wir zu Boten der Hoffnung für die Menschen, die Kirche und die Welt werden.